Die Reform des Deutschen Urheberrechtsgesetzes 2017 – welche Konsequenzen hat sie für DH-Forschende?
Es ist allseits bekannt, dass Sprachdaten (und Sprachressourcen) oft urheberrechtlich oder vom sui-generis-Recht für Datenbanken geschützt sind. Deswegen ist ihre Erhebung, Nutzung und Verbreitung nur mit Zustimmung des Rechtsinhabers oder bei Eingreifen einer gesetzlichen Schrankenregelung zulässig. Die Zustimmung der jeweiligen Rechtsinhaber einzuholen, ist häufig sehr zeit- und kostenintensiv und mit großen Schwierigkeiten für Forscher verbunden. Deswegen führten in den letzten Jahren die meisten nationalen Gesetzgeber gesetzliche Schrankenregelungen speziell für Forschungszwecke ein
Auf EU-Ebene erlaubt die (Urheberrechts-)Richtlinie 2001/29/EG den nationalen Gesetzgebern, Ausnahmeregelungen für die Vervielfältigung von Werken (was notwendiger Teil jeder computerbasierten Analyse ist) und die öffentliche Zugänglichmachung (Verbreitung) zu nicht-kommerziellen Zwecken einzuführen – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die jeweilige Quelle anzugeben ist. Die (Datenbank-)Richtline 96/9/EG sieht in ihrem Art. 9b eine ähnliche Forschungsausnahme vor, erlaubt allerdings nur die Entnahme (im Wesentlichen handelt es sich dabei um Vervielfältigungen) von Daten aus einer geschützten Datenbank, nicht die Wiederverwendung, z.B. keine öffentliche Zugänglichmachung.
Diese EU-Richtlinien müssen, um in den Mitgliedsstaaten Geltung zu erlangen, in nationale Gesetze umgesetzt werden. Beide Richtlinien belassen den nationalen Gesetzgebern aber einen erheblichen Umsetzungsspielraum (insbesondere dürfen die Ausnahmen eingeführt werden, müssen es aber nicht). Um einen angemessenen Interessenausgleich zwischen den Forschern und den Rechteinhabern (insbesondere den Verlagen) zu erreichen, entscheiden sich die nationalen Gesetzgeber häufig dazu, Schrankenregelungen sehr eng zu fassen. So ist beispielsweise in Deutschland gem. § 52a UrhG lediglich die Nutzung von veröffentlichten “kleinen Teilen” eines Werkes (also - richterrechtlich festgelegt - bis zu 25 % eines Werkes bis max. 100 Seiten) bzw. Werken “geringen Umfangs” (also Werke mit weniger als 25 Seiten, einzelne Bilder und Musikstücke) für nicht-kommerzielle Forschungszwecke erlaubt. Damit verbunden ist allerdings zwingend ein Vergütungsanspruch des jeweiligen Rechteinhabers, der nur durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden kann; die dazu notwendigen Verhandlungen zwischen den Universitäten und der VG Wort dauerten viele Jahre und mussten schließlich durch einen Richter geklärt werden. Erst 2006 konnte ein Rahmenvertrag unterzeichnet werden, der den Preis vergleichsweise niedrig festsetzte: 0,008 EUR pro Seite pro Nutzer. In der Praxis ergab sich aber bald das Problem, dass die Ausnahmeregelung (und der damit verbundene Vergütungsanspruch) durch eine vertragliche Regelung umgangen wurden. Denn wurde der Inhalt aufgrund eines Vertrags (z.B. einer Lizenz bzw. unter Verwendung von AGB) zugänglich gemacht, so konnte eine Regelung des Vertrags dem Nutzer einfach verbieten, das Werk in der gem. § 52a UrhG gestatteten Weise zu nutzen. Dies hatte zur Folge, dass den Wissenschaftlern alle Vorteile der Schrankenregelung wieder verloren gingen.
Im Jahr 2017 entschied sich der deutsche Gesetzgeber zu handeln: Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz erarbeitete einen Entwurf für das sog. Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz, das letztlich - nach einem bemerkenswert kurzen Gesetzgebungsprozess - vom Bundestag verabschiedet wurde. Ab März 2018 wird der alte § 52a UrhG (und weitere Normen, die urheberrechtliche Nutzung von Werken in der Forschung, Archiven und Bibliotheken zum Gegenstand hatten) durch die neuen §§ 60a-60h UrhG ersetzt. Von besonderem Interesse für die Digital Humanities sind dabei § 60c und § 60d UrhG. Diese gelten zunächst für einen Zeitraum von 5 Jahren. Danach muss der Gesetzgeber entscheiden, ob er die Gültigkeit verlängert oder durch andere Regelungen ersetzt (was nicht völlig unwahrscheinlich ist, wenn eine neue EU-Richtlinie für den digitalen Binnenmarkt erlassen wird).
- 60c UrhG erlaubt nun ausdrücklich die Vervielfältigung, die Verbreitung und die öffentliche Zugänglichmachung von bis zu 15 % eines Werkes zum Zwecke der nicht-kommerziellen wissenschaftlichen Forschung (also nicht wie die bisherige Rechtsprechung 25 %; die Regelung beinhaltet aber keine Seitenanzahl mehr, was insbesondere mit ihrer Anpassung an digitale Inhalte erklärt werden kann). Für die eigene wissenschaftliche Forschung (also ohne Veröffentlichung) dürfen sogar bis zu 75 Prozent eines Werkes vervielfältigt werden. Unabhängig von diesen Regelungen dürfen Abbildungen, einzelne Beiträge aus Zeitungen oder Zeitschriften, sonstige Werke geringen Umfangs und vergriffene Werke zu Forschungszwecken vollständig vervielfältigt und öffentlich zugänglich gemacht werden.
- 60d UrhG erlaubt das Data Mining für nicht-kommerzielle Forschungszwecke (die Beschränkung “nicht kommerziell” stammt dabei aus der zugrundeliegenden Urheberrechtsrichtlinie und darf daher vom nationalen Gesetzgeber nicht übergangen werden - sonst liegt ein Verstoß gegen EU-Recht vor!): Zu diesen Zwecken darf ein normalisierter und strukturierter Korpus an Werken zusammengestellt und einem bestimmt abgegrenzten Kreis von Personen (vermutlich den Mitgliedern des eigenen Forschungsteam) zugänglich gemacht werden. Nach Abschluss des Forschungsprojekts ist das gesamte Korpus zu löschen oder einem Archiv oder eine Bibliothek zur dauerhaften Aufbewahrung zu übermitteln. Diese Ausnahmeregelung betrifft nicht nur urheberrechtlich geschützte Werke, sondern erfasst auch Werke, die durch das sui-generis-Recht für Datenbanken geschützt sind: Obwohl die Richtlinie 96/9/EG keine Schrankenregelung für die Weiterverwendung zu Forschungszwecken vorsieht, fand der nationale Gesetzgeber einen geschickten Weg, diese Einschränkung zu umgehen.
Anzumerken ist, dass die neuen Schrankenregelungen nicht mehr durch vertragliche Regelungen umgangen werden können, d.h. auf Vereinbarungen, die erlaubte Nutzungen nach den §§ 60a bis 60f UrhG zum Nachteil der Nutzungsberechtigten beschränken oder untersagen, kann sich der Rechteinhaber nicht berufen (vgl. § 60g UrhG). Allerdings sind die Nutzungen zu vergüten; dieser Anspruch kann erneut nur durch die Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden. Auch die angemessene Höhe dieser Vergütung wird wahrscheinlich Gegenstand langer Verhandlungen werden, die Preisfestsetzung wird jedenfalls eine abschreckende Wirkung haben. Beispielsweise setzte eine Vereinbarung zwischen den Bibliotheken und den Verwertungsgesellschaften im Jahr 2006 die Vergütung für die Digitalisierung und öffentliche Zugänglichmachung von Büchern fest auf 120 % des Nettopreises des Buches.
Die neuen Schrankenregelungen sind jedenfalls ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung. Es ist wichtig, die Sprachressourcen-Community über diese aktuellen Entwicklungen zu informieren. Um allerdings das volle Potenzial des Data Mining in der EU zur Entfaltung zu bringen, ist der EU-Gesetzgeber gefragt. Tatsächlich gab es Ende 2016 einen Vorschlag für eine neue Richtlinie für den digitalen Binnenmarkt, die eine verbindliche Schrankenregelung für das Data Mining öffentlicher Forschungseinrichtungen (wie z.B. Universitäten) vorsieht, auch zu kommerziellen Zwecken. Derselbe Richtlinienvorschlag enthält auch einige vernünftige Einschränkungen für den Zugang zu Material - insbesondere verpflichtet er die Lizenznehmer zur regelmäßigen Information des Lizenzgebers über die Nutzung ihrer Werke.
Die Verabschiedung der Richtlinie wird für Ende 2018 erwartet, in Kraft treten würde die Richtlinie vermutlich 2 Jahre später. Zum jetzigen Zeitpunkt ist eine Vorhersage darüber, wie die finale Version der Richtlinie aussehen wird, allerdings nicht möglich.
Der vollständige Text des UrhWissG
Symbolfoto: Lizensiert unter CC0 von https://pixabay.com/en/hammer-books-law-court-lawyer-719066/ (Fotograf: succo)
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