Verwaiste und vergriffene Werke

Ein verwaistes Werk ist etwas wie ein Buch, Film oder Musik, zu dem kein Rechteinhaber zugeordnet werden kann oder für das dieser nicht auffindbar ist. Mögliche Gründe hierfür sind:

  • Urheber könnten sich ihres Eigentums nicht bewusst sein
  • Urheber könnten verstorben sein oder das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit eingestellt haben oder
  • Es ist nicht möglich herauszufinden, an wen das Urheberrecht weitergegeben wurde.

 

EU Richtlinien für verwaiste Werke, neue deutsche Gesetzgebung

Das Gesetz zu verwaisten Werken entwickelt sich sowohl in Deutschland als auch international weiter. Um die rechtliche Situation klarzustellen, wurden Ende 2012 vom europäischen Parlament Richtlinien für verwaiste Werke, die Richtlinie 2012/28/EU, beschlossen und vom Ministerrat verabschiedet. Die Mitgliedsstaaten, unter ihnen Deutschland, mussten die Richtlinien bis zum 29. Oktober 2014 in nationales Recht umsetzen.

2013 wurde durch den Bundestag das Gesetz verabschiedet, durch das die EU Richtlinie 2013/28/EU in nationales Recht übernommen wurde.

Das “Gesetz zur Nutzung verwaister und vergriffener Werke und einer weiteren Änderung des Urheberrechtsgesetzes (UrhGuaÄndG)” beinhaltet §§ 61 – 61c to the UrhG [1] (bezüglich verwaister Werke) and §§ 13d-e to the UrhWahrnG [2] (bezüglich vergriffener Werke).

 

Ziel des deutschen Gesetzes zu verwaisten und vergriffenen Werken

Das Kulturerbe muss durch einfachen Gebrauch, Digitalisierung und Dissemination von Werken erhalten und geschützt werden [3].

Aus diesem Grund sollen europäische digitale Bibliotheken wie Europeana unterstützt werden.

Die Verabschiedung dieser Gesetze ist wesentlich für die europäische digitale Agenda [4], die als Leuchtturminitiative für die europäische Strategie zu intelligenten, nachhaltigem und integrativen Wachstum ('Europe 2020: A strategy for smart, sustainable and inclusive growth' [5]) dient.

 

Begriffsbestimmung für verwaiste Werke:

Im Sinne von §§ 61 ff. UrhG, werden Werke als verwaist bezeichnet, wenn sie

  1. Werke und sonstige Schutzgegenstände in Büchern, Fachzeitschriften, Zeitungen, Zeitschriften oder anderen Schriften, oder
  2. Filmwerke sowie Bildträger und Bild- und Tonträger

sowie bereits veröffentlicht sind und vermutlich unter Urheberrecht stehen, aber trotz ‚eingehender Suche’ (siehe unten) keine Rechteinhaber identifiziert oder aufgefunden werden können.

 

Begriffsbestimmung für vergriffene Werke:

§§ 13d-e UrhWahrnG schlägt keine offizielle Definition vergriffener Werke vor.

Im allgemeinen Sprachgebrauch ist ein Werk vergriffen, wenn es in sämtlichen Versionen und Erscheinungsformen immer noch dem Urheberrecht unterliegt, aber über gängige Wege nicht mehr verfügbar ist, da Autoren oder Verleger weder neue Ausgaben publizieren noch Kopien verkaufen (auch wenn das Werk in Bibliotheken oder anderen öffentlichen Einrichtungen vorliegt).

In der Vergangenheit wurden diese Werke oft als nicht mehr gedruckte oder ‚out of print’ bezeichnet. Dieser Begriff wurde aufgrund der Möglichkeit des elektronischen Publizierens angepasst.

Nach Angaben der Deutschen Nationalbibliothek gibt es im Moment 2 Millionen vergriffene Werke [6].

Im Gegensatz zu verwaisten Werken sind Rechteinhaber eines vergriffenen Werkes bekannt.

Anmerkung: Verwaiste literarische Werke sind normalerweise vergriffen. In diesem speziellen Fall kann die Einrichtung selbst entscheiden ob §§ 61ff. UrhG oder der neue § 13d UrhWahrnG gilt (um die komplexe und teure eingehende Suche des Urhebers, die unter §§ 61ff. UrhG notwendig ist, zu Umgehen).[7] 

Links

 

Umgang mit Verwaisten Werken unter dem neuen Gesetz

Anmerkung: Das Gesetz gilt nur für öffentliche Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Museen, Archive, Institutionen des Film- und Tonerbes nach § 61 II UrhG, und Rundfunkeinrichtungen nach § 61c UrhG. Ebenso wie in der EU Richtlinien werden einzelne Forschende auch im deutschen Gesetz nicht erwähnt. Das Gesetz verlangt vor der Nutzung verwaister Werke eine eingehende Suche nach den Rechteinhabern.

Eine eingehende Suche (§ 61 a UrhG):

  • beinhaltet mindestens eine Suche in den im Anhang von § 61a UrhG [8] aufgeführten Quellen.
  • sollte in einem Mitgliedsstaat der Erstausgabe stattfinden.
  • muss aufgezeichnet werden: Die Informationen müssen dem Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) übergeben werden.
  • ist nicht nötig wenn das Werk bereits beim DPMA registriert ist.

Ergebnis

Sollte der Urheber durch diese Suche nicht identifiziert werden können, wird das Werk als verwaist angesehen und kann verwendet werden.

 

Zulässiger Gebrauch verwaister Werke:

  • Verwaiste Werke können der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden (§ 61 I UrhG “Recht der öffentlichen Zugänglichmachung”, § 19a UrhG).
  • Vervielfältigung zum Zwecke der Bewahrung, Wiederherstellung, Verfügbarmachung zu kulturellen und pädagogischen Zwecken und dem Allgemeinwohl (“Vervielfältigungsrecht”, § 16 I UrhG).

Anmerkung: Bestimmte sprachwissenschaftliche Methoden fallen möglicherweise nicht in die Kategorie zulässigen Gebrauches.

Gibt es mehrere Rechteinhaber kann das Werk genutzt werden, wenn Rechteinhaber, die identifiziert wurden, dies den genannten Einrichtungen gestatten (§ 61 III UrhG).

Wenn Rechteinhaber im Nachhinein in Erscheinung treten, darf die Einrichtung das Werk nicht weiter nutzen: Sie ist dazu verpflichtet weiteren Nutzen zu unterlassen und eine angemessene Vergütung zu erbringen.

Links:

 

Umgang mit vergriffenen Werken unter dem neuen Gesetz

Anmerkung: Das Gesetz betrifft ausschließlich literarische Werke

  • die als Buch, Zeitschrift, Zeitung, Magazin oder in anderer Publikationsform vor dem 1. Januar 1966 veröffentlicht wurden (§ 13d I Nr.1 UrhWahrnG) und
  • die momentan Teil der Sammlung einer öffentlichen Bibliothek, Bildungseinrichtung, eines Museums, Archives oder Institutes sind, die eine große Auswahl des Film- und Tonerbes lagern (§ 13d I Nr. 2 UrhWahrnG).

Film- und Tonwerke sind vom Gesetz nicht eingeschlossen.

Zum Schutz des Interesses von Autoren und Rechteinhabern erlauben § 13d und § 13e unter bestimmten Bedingungen Institutionen zur Bewahrung des kulturellen Erbes die Nutzung vergriffener Werke innerhalb des Rahmens der Lizenzbedingungen mit einer Verwertungsgesellschaft.

Bedingungen:

  1. Die Reproduktion und Publikation muss für nicht kommerzielle Zwecke geschehen (§ 13d I Nr.3 UrhWahrnG),
  2. Der Rechteinhaber reicht innerhalb von 6 Wochen nach der Veröffentlichung der Registrierung keinen Einspruch beim DPMA oder der Verwertungsgesellschaft ein,
  3. Anmerkung: Nichtsdestotrotz haben Urheber weiterhin das Recht ein Werk zu digitalisieren und es verfügbar zu machen. Sie besitzen bei der Rechtsverwaltung und Zulassung durch die Verwertungsgesellschaft jederzeit ein Widerspruchsrecht (§ 13d II UrhWahrnG). Es bleibt offen, ob der Widerspruch sich ausschließlich auf zukünftige Verwertung bezieht oder auch rückwirkend gilt.
  4. Auf Nachfrage der Verwertungsgesellschaft müssen die Werke zu Informationszwecken vom DPMA registriert sein (§ 13d I Nr.4 UrhWahrnG) (Details zur Registrierung sind in § 13e UrhWahrnG nachzulesen).

Ergebnis

Unter diesen Bedingungen bekommt das Werk den Status vergriffenes Werk und darf im Rahmen des Lizenzabkommens einer Verwertungsgesellschaft reproduziert (§16 UrhG) und öffentlich verfügbar gemacht (§19a UrhG) werden.

Während manche Verwertungsgesellschaften ihre Lizenzvereinbarungen bereits angepasst haben (f.e. VG Wort[9]), gibt das neue Gesetz (§§13d,e UrhWahrnG) die Möglichkeit selbst diejenigen vergriffenen Werke verfügbar zu machen, deren Rechteinhaber keiner Verwertungsgesellschaft die Rechteverwaltung übertragen hat.

Verwertungsgesellschaften die bereits Rechte aus §16 und §19a UrhG verwalten, sind dazu berechtigt, jedem der eine Lizenz erwerben möchte, nicht-exklusive Rechte zum Gebrauch einzuräumen, unabhängig davon, ob sie diese Aufgabe bereits haben oder nicht (dies wurde durch die Voraussetzung von §13d UrhWahrnG ermöglicht).

Sollten die Lizenzgebühren innerhalb eines solchen Lizenzabkommens an die Verwertungsgesellschaft gezahlt werden, sind die Zahlenden gegenüber Forderungen der eigentlichen Rechteinhaber abgesichert (§ 13d IV UrhWahrnG).

Sollten die Rechte aus §16 und §19a UrhG von mehreren Verwertungsgesellschaften verwaltet werden, sind diese dazu verpflichtet gemeinsam zu handeln (§ 13d III UrhWahrnG).

Rechtliche Rahmenbedingungen

Wie die Erläuterung 4 der EU Richtlinien 2012/28/EU[10] fordert, liegt es in der Hand jedes Mitgliedsstaates eigene spezifische Lösungen für groß angelegte Digitalisierungsprojekte wie bei vergriffenen Werken zu entwickeln.

Nichtsdestotrotz gibt es ein EU Abkommen[11], das Grundprinzipien der Digitalisierung und Verfügbarmachung vergriffener Werke festhält. 2010 wurden relevante Interessensvertreter wie Bibliotheken, Verlage, Verwertungsgesellschaften und Autoren von der EU Kommission zusammengebracht, um rechtlichen Rahmenbedingungen für freiwillige Lizenzabkommen zu erstellen, die flexible Verhandlungen erlauben. Diese kommen ohne Nachteile der individuellen Abkommen mit dem/der RechteinhaberIn aus.

Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber am 1. April 2014 § 13d und § 13e UrhWahrnG auf den Weg gebracht.

Links



[2] Vom 01/04/2014, der offizielle Gesetzestext kann unter folgender Adresse eingesehen werden: http://ra.de/gesetze/UrhWahrnG

 

Gesetz zu Verwaisten Werken in Großbritannien

  • Die Unternehmens- und Regulierungsreform 2013 - verabschiedet im April 2013
  • Im Mai 2013 hat das britisches Patent- und Markenamt ein entmytisierendes Dokument in FAQ-Form herausgegeben, welches die Ergebnisse des neuen Gesetzes für Fotografen thematisiert: http://www.ipo.gov.uk/hargreaves-orphanmyth.pdf

 

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